It's time to say goodbye

Hallo und herzlich Willkommen,

Wenn ich das hier gerade schreibe, sitze ich im Flugzeug hoch über den Wolken, wenn ihr das lest, bin ich wahrscheinlich schon wieder in Deutschland.
Es ist eine komische Situation und das hier zu schreiben, ist auch nicht unbedingt einfach: Ich bin zum einen sehr, sehr traurig jetzt wieder zurück zu fliegen, vor allem weil die letzten Wochen und Monate eigentlich die schönsten waren und ich meine Mitbewohnerinnen, meine Kolleginnen, die Kinder und alle weiteren Leute, die ich hier kennengelernt habe, sehr vermissen werde.
Andererseits freue ich mich natürlich, meine Familie und Freunde wiederzusehen und blicke auf ein Jahr zurück, dass abgesehen von den coronabedingten Schwierigkeiten nicht schöner hätte sein können. Ich bin so unendlich froh, mich zu einem Freiwilligendienst entschieden zu haben und auch den Ort hätte ich nicht besser wählen können, ich habe mich wirklich in Riga und Lettland verliebt.
Aber ein ausführliches Fazit werde ich noch nachliefern, heute soll es erstmal wie gewohnt um den letzten Monat gehen.

Vom Besuch meiner Familie Ende Juni und Anfang Juli hatte ich ja schon berichtet, deswegen steigen wir am 04. Juli in den Monatsrückblick ein.
Dann ging es nämlich für eine Woche auf Freizeit mit den Kindern unseres und eines weiteren Zentrums ("Sirdsgaisma") nach Mazirbe am nordwestlichen Zipfel Lettlands. Dort waren wir in einer ehemaligen Internatsschule untergebracht.
Mazirbe ist ein kleines Dorf, dort ist wirklich nichts los und wir waren quasi unter uns, aber dafür nah am Strand. Unter sich zu sein, ist mit 50 Kindern auch durchaus von Vorteil.
Auf dem Programm standen vor allem sportliche Spiele und Basteln für die Kindern, u.a. ein Völkerballturnier und der Bau eines Vogelhauses. Mit den älteren Kindern war ich von Dienstag auf Mittwoch wandern. Wir sind durch den Wald am Strand zwei Dörfer weiter gewandert und haben dort auf dem Dachboden einer Kirche übernachtet.
Ansonsten war es natürlich anstrengend, eine ganze Woche permanent mit den Kindern zu verbringen, aber hat trotzdem sehr viel Spaß gemacht. Auch mal die Kinder von einem anderen Zentrum kennenzulernen war sehr nett. 

Ein bisschen Entspannung braucht man dann nach so einer Woche aber doch. Deshalb waren Amelie, die Freiwillige in "Sirdsgaisma" ist, und ich am folgenden Wochenende (08.-10. Juli) in Ventspils, der nächst größeren Stadt von Mazirbe aus.
Die Stadt liegt an der Mündung des Flusses Venta in die Ostsee und ist recht überschaubar, für lettische Verhältnisse aber nicht unbedingt klein und es gab doch auch einiges zu sehen, allen voran der Hafen, welcher der größte Lettlands ist und im europäischen Vergleich immerhin in den Top 20. Mir diesen auf der Hafenrundfahrt auf der Venta anzusehen, hat mir sehr gut gefallen, aber auch einfach an der Hafenpromenade (vom Hafen aus auf der anderen Seite des Flusses) entlang zu laufen, war sehr schön. Ich bin ja generell ein sehr großer Fan von Hafenstädten, dementsprechend hat mir Ventspils auch echt gut gefallen. Ich würde jetzt eigentlich sagen, dass es mich ein bisschen an Hamburg erinnert hat, aber dann würde die liebe Zsófia mich (zurecht) daran erinnere, dass ich das bei so gut wie jeder Stadt mit einem Hafen sage. 
Abgesehen vom Hafen kann man in Ventspils die ehemalige Ordensburg, eine der ältesten Burgen Lettlands, und ein Freilichtmuseum besichtigen. Das Freilichtmuseum folgt einem ähnlichen Konzept wie das in Riga, dort sind ebenfalls landestypische Gebäude ausgestellt. Es ist aber deutlich kleiner, dafür hat es eine Schmalspurbahn, mit der man auch noch fahren kann, was zwar nicht sehr lang war, aber trotzdem witzig.

Am Wochenende darauf standen samstags in der großen Kathedrale in der Altstadt, dem Dom St. Marien, Feierlichkeiten zu einem Doppeljubiläum an. Zum einen wurde 500 Jahre Reformation in Lettland gefeiert (die Reformation ist hier erst fünf Jahre später angekommen), zum anderen das hundertjährige Bestehen der lettischen evangelisch-lutherischen Kirche. Dazu gab es Gottesdienste, Musik und traditionelles Essen (davon war einiges von Seniorinnen aus unserem Zentrum am Vortag gebacken worden), allen voran eine riesige Torte am Schluss. Es gab unter anderem auch Crêpes, auch ganz normal mit Nutella oder Marmelade, aber auch mit Ketchup, Mayonnaise, sauren Gurken und Kohl. Mariam hat als Französin fast einen Kollaps gekriegt. Vielleicht war es ganz gut, dass sie selbst nicht da war.

Auf der Arbeit waren wir die letzten Wochen voll im Ferienmodus und haben viele Ausflüge gemacht: in Museen, zum Strand, zum Spielplatz, zum Fußballplatz und noch viel mehr. Für die Kinder war das wirklich super, in drei Monaten Ferien (ich komme immer noch nicht damit klar, dass die lettischen Schüler:innen so lange Sommerferien haben) kann einem ja auch mal schnell langweilig werden. Aber alles besser als Schule. ;)
Das hat alles auch viel Spaß gemacht, aber mein baldiger Abschied schwebte gerade in den letzten Tagen häufig wie ein Damoklesschwert über allem.

Letztes Wochenende (23.+24. Juli) haben wir dann noch einen letzten Ausflug alle zusammen gemacht und zwar nach Liepāja im Südwesten. 
Die Stadt ist als Strandort sehr touristisch geprägt, ist aber auch historisch sehr interessant. In der Sowjetzeit war Liepāja nämlich Sperrgebiet, die Einwohner:innen konnten nicht einfach mal raus fahren und der Kriegshafen ("karosta") war nochmal extra abgeriegelt. Für mich war natürlich klar, dass ich mir den Kriegshafen unbedingt anschauen muss und auch das Militärgefängnis dort, was noch während der Zeit als Teil des Russischen Zarenreiches um 1900 errichtet wurde und später auch von den Sowjets und den Nazis genutzt wurde. Die letzten Gefangenen wurden erst 1997 befreit.
Ansonsten ist Liepāja recht beschaulich, der Strand ist natürlich das Highlight, aber auch an den beiden Kanälen ist es sehr nett. 

Danach hieß es am Dienstag (26. Juli) schon das erste Mal Abschied nehmen, denn Amelie nahm als Erste den Flieger in Richtung Deutschland. Das war natürlich sehr traurig, aber wir hatten sie am Abend zuvor mit Bowling, Karaoke und nächtlichem Schwimmen im See gebührend verabschiedet. Trotzdem fällt der Abschied von einer Person, mit der man 10 Monate zusammengelebt hat, nie leicht.

Bei mir war es dann langsam auch so weit: Am Freitag (29. Juli) hieß es dann ein letztes Mal arbeiten. Dafür sind wir als kleine Überraschung für mich etwas aus der Stadt raus nach Jaunmarupe zu einem Wasserpark gefahren, wo wir ein letztes Mal sehr viel Spaß hatten. 
Aber der Abschied fiel natürlich schwer. Wir waren ja auch die ersten Freiwilligen in meinem Zentrum, entsprechend ungewohnt und emotional war die Situation für alle. Immerhin bleibt Zsófia noch für zwei Wochen.
Nachdem ich ein paar Mal von Kindern bei den Umarmungen zum Abschied überrannt wurde, hieß es dann nach einem gemeinsamen Essen und Anstoßen mit alkoholfreiem Sekt endgültig "Uz redzēšanos", aber "Auf Wiedersehen" ist definitiv wortwörtlich zu verstehen, denn ich komme auf jeden Fall wieder.
Ich glaube aber, dass es nichts Schwierigeres gibt, als sich von Kindern zu verabschieden. Die wollen einen einfach nicht gehen lassen und man selbst will dann auch nicht gehen. Als ich auf die Frage eines Mädchens, wann ich denn wieder käme, "so bald wie möglich" antwortete, kam die Rückfrage: "Also im August?"

Leichter wurde es danach auch nicht mehr: Koffer packen stand natürlich an (bei Limitierung durch Koffervolumen und Gewichtsvorgabe für den Flug kein einfaches Unterfangen), aber Zeit für einen letzten Spaziergang durch die Altstadt und einen letzten Abend am Strand mit den verbliebenen Mitbewohnerinnen war noch drin, was ich sehr genossen habe. Riga hat sich in den letzten Monaten zu meiner absoluten Lieblingsstadt und gewissermaßen zu einer zweiten Heimat entwickelt, die Stadt wird mir fehlen, falls man das so sagen kann. 

Und dann war es soweit: Heute morgen (31. Juli) ging es zum Flughafen und nach einer für den Rigaer Flughafen ungewöhnlich langen Wartezeit am Check-in war der Moment des Abschieds endgültig gekommen. Meine Gefühle sind nicht wirklich in Worte zusammenzufassen, deswegen versuche ich es gar nicht erst, aber es fiel schwer, meinen Mitbewohnerinnen und auch vorher den Kindern, meinen Kolleginnen und allen anderen Leuten auf Wiedersehen zu sagen und als der Flieger abhob und ich ein letztes Mal Riga von oben sehen konnte, sind schon ein paar Tränen über mein Gesicht geflossen.
Dennoch freue ich mich zurück nach Bonn zu kommen und das nächste Abenteuer steht schon vor der Tür, denn ab dem 10. August geht es für mich mit dem Interrail-Ticket per Zug nach Budapest, Zagreb, Ljubljana, Venedig, Neapel, Rom und am Ende noch nach Südtirol zum Wandern. Ruhig wird es bei mir also nicht.
Wie gesagt, wird noch ein ausführliches Fazit kommen (Spoiler: es wird sehr positiv ausfallen), aber wahrscheinlich erst nach dem Interrail im September, dann kann ich ja auch ein wenig über meine Reise berichten.

Bis dahin, vielleicht sieht man sich ja in Deutschland.

Uz redzēšanos

Jonas 

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